Warum es für uns so schwer ist, Zeiten im Voraus festzulegen – und warum das nichts mit Unzuverlässigkeit zu tun hat

Veröffentlicht am 21. Mai 2025 um 18:00

© Lisa Widerek 2025 · Manchmal braucht echte Freiheit Raum – und manchmal braucht Raum Zeit. Zeitangaben, Verabredungen, feste Pläne: Für viele Menschen sind sie selbstverständlich. Für neurodivergente Menschen – vor allem mit PDA-Profil – können sie innerlich alles zum Kippen bringen. Dieser Text erzählt, warum feste Zeiten uns oft überfordern und wie echte Freiheit anders aussieht, als viele denken.

"Wann genau willst du los?" – Kleine Fragen, große Krisen

Fragen wie diese können bei Menschen mit PDA (Pathological Demand Avoidance) eine kleine innere Krise auslösen – auch wenn sie auf Außenstehende völlig harmlos wirken.

Früher habe ich mich selbst wahnsinnig über Menschen aufgeregt, die nie konkrete Zeitangaben machen konnten.
Immer dieses Vage, dieses „Wir schauen mal“, dieses „Chillig“, bis dann plötzlich von einer Sekunde auf die andere der Aufbruch kam.

Ich dachte:

„Wie unorganisiert ist das bitte? Warum kann man sich nicht einfach verabreden wie normale Leute?“

Bis ich gemerkt habe: Ich bin selbst so.


Der unsichtbare Zeitplan im Kopf

Menschen mit PDA haben oft sehr wohl einen inneren Plan.
Er fühlt sich nur anders an: Er ist nicht starr, sondern fließend.

Wir tragen eine grobe Struktur in uns – aber sie bleibt flexibel, weil wir jederzeit die Freiheit behalten müssen, darauf zu reagieren.

Das bedeutet:

  • Ich weiß ungefähr, wann ich etwas tun will.

  • Aber ich fühle erst im Moment selbst, ob es wirklich passt.

  • Und erst wenn es sich richtig anfühlt, kann ich es aussprechen oder handeln.

Für Außenstehende wirkt das oft chaotisch oder sprunghaft.
In Wirklichkeit ist es ein komplexer innerer Balanceakt zwischen Freiheit und Struktur.


Warum feste Zeiten Stress machen

Sobald ich eine konkrete Uhrzeit nenne – „um 17 Uhr gehen wir schwimmen“ – fühle ich mich innerlich verpflichtet.
Ein fester Termin ist wie ein stilles Versprechen.

Und wenn dann irgendetwas in mir sagt:

„Jetzt noch nicht“ oder „Ich brauche noch einen Moment“,
gerate ich sofort unter Druck.

PDAler erleben Erwartungsdruck – selbst selbstgemachten – als Bedrohung ihrer Autonomie.

Deshalb vermeiden wir unbewusst feste Ansagen, um uns die Möglichkeit offenzuhalten, spontan und selbstbestimmt zu entscheiden.


Freiheit ist nicht Planlosigkeit

Nur weil wir Zeiten nicht gerne festnageln, heißt das nicht, dass wir keine Struktur haben.
Unsere Struktur ist einfach subtiler, gefühlsbasierter und freier als das klassische „um 12:00 Uhr Punkt Abfahrt“-Denken.

Wenn wir sagen „alles chillig“, meinen wir:

  • Lass mir den Raum, meinen eigenen Rhythmus zu finden.

  • Vertraue darauf, dass ich dich nicht absichtlich warten lasse.

  • Gib mir die Freiheit, zu handeln, wenn es sich wirklich stimmig anfühlt.


Vom Zeitchaos zur pünktlichen Selbstrettung

Früher war ich übrigens das Paradebeispiel für „ständig zu spät kommen“.

Wenn man mich irgendwo dabeihaben wollte, musste man mich am besten eine Stunde früher einladen – sonst war klar, dass ich zu spät komme.
Nicht aus Faulheit oder Desinteresse, sondern weil mein Zeitgefühl damals einfach komplett anders funktionierte.

Ich konnte Aufgaben kaum unterbrechen, wenn ich noch mitten im Hyperfokus steckte –
und wenn ein Termin am Tag anstand, lag mein ganzer Tag unter einer Glocke aus Warten und Anspannung.

Ich habe nichts mehr richtig angefangen, weil ich ja bald „los muss“.

Und natürlich kamen ständig Gedanken dazwischen wie:

  • Was ist, wenn ich keinen Parkplatz finde?

  • Was, wenn ich die Adresse nicht finde?

  • Was, wenn ich irgendwas vergesse?

Deshalb habe ich irgendwann angefangen, viel zu früh zu planen:

  • Mit eingebautem Parkplatzsuchen,

  • Handypause im Auto,

  • und „nur-noch-kurz-überschlafen-ob-ich-wirklich-alles-dabei-habe“-Phasen.

Heute klappt es erstaunlich gut – zumindest, wenn ich nur für mich selbst verantwortlich bin.

Mit Kindern (und dazu noch PDA-Kindern) bleibt es natürlich spannend –
weil Autonomiebedürfnis und Realität bekanntlich zwei verschiedene Dinge sind.


Kurz gesagt:

Pünktlichkeit ist für mich keine Selbstverständlichkeit.
Es ist ein bewusst erkämpfter Sieg über mein eigenes inneres Chaos.


Wer sich jetzt ertappt fühlt...

Ja, vielleicht erkennst du dich wieder.
Vielleicht warst du schon mal der Mensch, der gesagt hat:

„Ich bring dich irgendwann heim.“

Und plötzlich – zack – „So, jetzt bitte fahren.“
Oder du warst derjenige, der einfach keinen festen Schwimmbad-Termin nennen konnte, weil der innere Moment noch nicht klar war.

Dann weißt du jetzt:
Es geht nicht darum, andere zu nerven.
Es geht darum, bei sich selbst bleiben zu dürfen, ohne durch Erwartungen gelähmt zu werden.


Fazit

PDAler brauchen manchmal scheinbar planlos viel Raum, damit sie sich frei fühlen können.
Aber wenn du ihnen diesen Raum gibst – ehrlich und ohne Druck –,
dann bekommst du oft etwas zurück, das viel wertvoller ist als jede feste Uhrzeit:

Echte Präsenz. Echte Entscheidung. Echte Nähe.

Und hey:
Ein bisschen Chaos gehört manchmal einfach dazu.

 

Herzlich,
FliWi


Kennst du das Gefühl, dich zwischen Freiheit und Erwartungen zerreißen zu müssen?
Teile deine Erfahrungen gerne in den Kommentaren oder auf Instagram.
Vielleicht erkennen wir uns gegenseitig ein Stück mehr.

Dein innerer Rhythmus verdient Respekt.


#pda #neurodivergenz #adhs #autismus #zeitgefühl #selbstfürsorge #freiheitstattdruck #ehrlichstattideal #charmeundchaos

Kommentar hinzufügen

Kommentare

Es gibt noch keine Kommentare.