Das ARAS-System erklärt: Reizfilter, Regulation und warum manche Menschen schneller kippen

© 2025 Lisa Widerek · Zwischen Nervensystem, Neurodivergenz und innerem Gleichgewicht


Was ist das ARAS?

ARAS steht für Ascending Reticular Activating System. Es ist ein Teil des Hirnstamms und funktioniert wie ein innerer Reizfilter und Wachheitsregler. Ohne das ARAS:

  • Wären wir nicht wach

  • Könnten wir Wichtiges nicht von Unwichtigem unterscheiden

  • Wären wir ständig überfordert – oder gar nicht reaktionsfähig

Das ARAS ist also wie ein Mischpult zwischen Umwelt und Gehirn.


Was macht das ARAS genau?

Das ARAS steuert:

  • unseren Wachheitsgrad (Hellwach oder abgeschaltet?)

  • unsere Aufmerksamkeit (Worauf konzentriere ich mich?)

  • die Reizverarbeitung (Was lasse ich durch? Was filtere ich aus?)

Es verbindet Hirnstamm, Thalamus, Hypothalamus und Kortex. Als chemischer "Taktgeber" wirken Neurotransmitter wie Noradrenalin, Dopamin, Serotonin und Acetylcholin.


Was passiert bei Störungen im ARAS?

Besonders bei neurodivergenten Menschen arbeitet das ARAS oft anders. Die Folgen können sein:

Zustand Beschreibung Reizoffenheit Alles kommt durch: Geräusche, Licht, Berührung – fühlt sich an wie "zu viel" Reizunterempfindung Kaum Reaktion auf Reize – Menschen wirken "abgeschaltet" oder nicht ansprechbar Hyperarousal Nervensystem ist dauerhaft "an" (z. B. bei ADHS oder Trauma) Hypoarousal Antrieb fehlt, keine Energie, "wie benebelt"

Diese Zustände wechseln oft plötzlich – besonders bei PDA-Profile oder bei starker Reizüberflutung.


Welche Diagnosen haben oft ARAS-Dysbalancen?

  • Autismus-Spektrum-Störungen

  • ADHS

  • Hochsensibilität

  • Trauma / PTBS

  • PDA (Pathological Demand Avoidance)


Forschung dazu (Auswahl)

  • Schriber et al. (2019): Autistische Kinder zeigen andere ARAS-Aktivität in fMRT-Scans

  • Kraus et al. (2021): Bei ADHS ist die Filterfunktion des ARAS reduziert

  • Porges (Polyvagal-Theorie): ARAS spielt mit dem autonomen Nervensystem zusammen (z. B. bei Angst)


Was bedeutet das für den Alltag?

Wenn das ARAS nicht ausgeglichen arbeitet...

  • wirkt das Verhalten oft "zu empfindlich", "zu abwesend" oder "unkontrolliert"

  • sind normale Alltagssituationen überfordernd

  • hilft Willensanstrengung NICHT, weil das Problem tiefer liegt


Beispiele aus dem Alltag:

Situation Mögliche ARAS-Reaktion Einkaufszentrum Reizüberflutung → Zusammenbruch oder Flucht Plötzlich angesprochen werden Schreck, Blackout, "Freeze" Schulunterricht Unter- oder Überforderung, Abschalten Lärm zu Hause Gereiztheit, Wutausbruch, sozialer Rückzug


Und jetzt?

Verstehen hilft.

Wenn wir begreifen, dass Verhalten oft ein Zeichen von Reizverarbeitung ist und nicht von "schlechtem Benehmen", öffnet das neue Wege:

  • Weniger Druck, mehr Raum

  • Struktur statt Stress

  • Reizarme Umgebungen, Pausen, Bewegung

  • Keine Bewertung von Verhalten, sondern Mitgefühl für das System dahinter


Fazit: ARAS erklärt Reizreaktionen

Das ARAS ist wie ein Tor zur Welt. Wenn es offen steht, kommen alle Reize durch. Wenn es zu eng ist, kommt kaum was an. Und manchmal schwankt es sekundenweise hin und her.

Das erklärt, warum viele neurodivergente Menschen so sensibel, so reaktiv und gleichzeitig so erschöpft sind.

Wenn wir das begreifen, können wir nicht nur besser helfen – sondern auch liebevoller sehen.

Herzlich,
FliWi

Hinweis: Diese Seite ersetzt keine fachliche Diagnose, sondern soll Orientierung bieten und das Verständnis fördern – für Betroffene, Angehörige und alle, die lernen möchten, wie vielfältig Neurodivergenz ist.