© 2025 Lisa Widerek . Reizverarbeitung bei Autismus – und warum ADHS und Hochbegabung so oft mit drinstecken

Stell dir vor, dein Gehirn wäre ein Flughafen
Autistisch? Dann landen dort mehr Flugzeuge, starten mehr gleichzeitig – und das Bodenpersonal hat keinen Funk, sondern muss raten, welches Signal wo gebraucht wird.
Und trotzdem funktioniert es irgendwie. Irgendwie brillant, irgendwie anders, irgendwie zu viel. Willkommen in meinem Kopf.
Die Welt filtert nicht für uns – wir müssen es selbst tun
Autistische Menschen verarbeiten laut Studien bis zu 42 % mehr Informationen im Ruhezustand als neurotypische Menschen. Unser Gehirn ist also nicht still, wenn wir still sind – es tanzt, denkt, sortiert, analysiert. Ungefragt.
Diese Reizoffenheit betrifft alle Sinne: Geräusche, Licht, Temperatur, Gerüche, Berührungen – alles kommt gleich stark an. Es fehlt oft der innere Filter, der Wichtiges von Unwichtigem trennt. Das bedeutet nicht, dass wir empfindlich sind. Es bedeutet, dass wir alles gleichzeitig empfangen.
Ein Supermarkt ist für viele einfach ein Laden. Für mich ist er ein Albtraum aus Neonflackern, schrillem Piepsen, zerschnittenen Stimmen, Bewegungschaos und dem Versuch, mich gleichzeitig an meinen Einkaufszettel zu erinnern und nicht zusammenzubrechen. Ich bin nicht überfordert – ich bin überflutet.
Und dann kommt noch ADHS dazu
Ich habe nicht nur Autismus, sondern auch ADHS – was bedeutet, dass mein Gehirn nicht nur viel empfängt, sondern auch ständig etwas Neues will. Dopamin ist Mangelware, also jagt es Impulse, Reize, Ideen. Gleichzeitig möchte mein autistisches Nervensystem Struktur, Vorhersehbarkeit, Ordnung.
Klingt widersprüchlich? Ist es auch. Und es erklärt, warum viele von uns innerlich zwischen "Ich brauche eine Höhle" und "Ich habe zehn Tabs offen, die gleichzeitig Musik abspielen" schwanken.
ADHS verleiht Energie, aber keine Richtung. Autismus gibt Tiefe, aber keine Pause.
Zusammen ergibt das eine sehr spezielle Art, die Welt zu erleben – und zu erklären.
Hochbegabung: Mehr als nur klug
Viele Autist*innen – nicht alle – sind auch hochbegabt. Was das bedeutet? Vor allem, dass unser Gehirn schnell und tief denkt. Dass wir Muster erkennen, wo andere nur Rauschen sehen. Dass wir Konzepte intuitiv begreifen, aber im Alltag an simplen Dingen wie einer veränderten Reihenfolge in der Tagesstruktur scheitern.
Hochbegabung heißt nicht, dass man alles kann. Es heißt nur, dass man vieles schneller denkt – und manchmal deshalb länger leidet. Weil man spürt, was nicht stimmt, bevor man Worte dafür hat. Weil man sich fragt, warum niemand sonst die Zusammenhänge sieht, die im eigenen Kopf so offensichtlich sind.
Persönlich: Warum ich das hier schreibe
Ich möchte, dass du weißt: Wenn du dich wiederfindest – du bist nicht allein. Wenn du manchmal denkst, dein Gehirn funktioniert anders – ja, vielleicht tut es das. Wenn du dich fragst, warum du so empfindlich bist, obwohl du so viel aushältst – dann bist du vielleicht einfach wie ich: neurodivergent mit allem, was dazugehört.
Ich bin lange durchs Leben gegangen mit dem Gefühl, falsch zu sein. Ich dachte, ich sei empfindlich, chaotisch, zu viel. Heute weiß ich: Ich bin genau richtig – nur mit einem anderen Betriebssystem.
Und das braucht manchmal Ruhe. Manchmal Struktur. Manchmal einen verdammt guten Noise-Cancelling-Kopfhörer.
Aber vor allem braucht es Verständnis – für uns selbst, und von anderen.
Herzlich,
FliWi
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