© Lisa Widerek 2025 · Vielleicht bin ich gar nicht gut genug … und alle merken es bald. Ein ehrlicher Blick auf das Impostor-Syndrom bei Autismus, ADHS und Hochbegabung.

Der stumme Zweifel
"Ich hab den Job nur bekommen, weil niemand Besseres da war." "Die loben mich, weil sie nicht wissen, wie wenig ich eigentlich kann." "Wenn sie einmal hinter die Fassade schauen, merken sie, dass ich nichts draufhabe."
Diese Gedanken waren nie laut. Aber sie waren hartnäckig. Sie nisteten sich ein wie ein Nebel zwischen mir und dem, was ich erreicht hatte. Kein Applaus, kein Erfolg, keine bestandene Prüfung konnte sie ganz vertreiben. Es blieb immer ein "ja, aber …". Und dieses "aber" wurde zu einem ständigen Begleiter.
Was ist das Impostor-Syndrom genau?
Das Impostor-Syndrom, auch bekannt als Hochstapler-Phänomen, beschreibt das Gefühl, den eigenen Erfolg nicht verdient zu haben. Betroffene glauben, sie hätten andere überlistet, seien durch Zufall oder Sympathie weitergekommen. Lob fühlt sich unangenehm an, als würde man für etwas gewürdigt, das man gar nicht geleistet hat.
Dabei ist wichtig: Es geht nicht um falsche Bescheidenheit oder realistische Selbstkritik. Sondern um ein tiefliegendes Misstrauen gegen die eigene Wahrnehmung und Leistung.
Typisch sind Gedanken wie:
- "Ich habe einfach Glück gehabt."
- "Andere hätten das besser gemacht."
- "Ich hoffe, niemand merkt, wie wenig ich eigentlich weiß."
Psychologisch betrachtet handelt es sich um eine Selbstwertstörung, die stark von inneren und äußeren Erfahrungen geprägt wird.
Warum trifft es gerade neurodivergente Menschen häufig?
Ich bin autistisch, habe ADHS, bin hochsensibel – und hochbegabt. Und genau diese Kombination macht das Impostor-Syndrom wahrscheinlicher. Warum?
- Erlebte Abwertung und Missverständnisse: Viele neurodivergente Menschen wachsen mit der Erfahrung auf, "falsch" zu sein. Sie werden für Dinge kritisiert, die sie nicht steuern können. Das Vertrauen in die eigene Wahrnehmung leidet früh.
- Leistung als Kompensation: Wenn man fürs "Sein" nicht anerkannt wird, bleibt oft nur das "Tun". Erfolg wird zum Beweis für Daseinsberechtigung. Doch paradoxerweise wird genau dieser Beweis innerlich entwertet: "Ich darf hier sein, aber nur solange ich leiste."
- Exekutive Dysfunktionen und hohe Intelligenz: Wer komplex denken kann, erkennt auch die eigenen Schwächen besonders deutlich. Wenn dann noch ADHS-bedingte Organisationprobleme oder autistische Reizüberflutung dazukommen, entsteht eine ständige Dissonanz zwischen "Was ich könnte" und "Was ich schaffe".
- Masking: Neurodivergente Menschen lernen früh, sich anzupassen. Doch wenn das Überleben in Masken stattfindet, wird es schwer, den eigenen Kern als echt zu erleben.
PDA-Profil: Wenn selbst Erwartungen zur Bedrohung werden
PDA steht für „Pathological Demand Avoidance“ – ein Profil innerhalb des Autismus-Spektrums, bei dem selbst alltägliche Anforderungen als bedrohlich erlebt werden können. Menschen mit PDA reagieren nicht aus Trotz oder Faulheit, sondern aus einem inneren Notstand heraus. Jede Form von Erwartung – auch die an die eigene Leistung – kann sich anfühlen wie eine Falle.
Wenn ich weiß, dass ich etwas kann, aber schon der Gedanke daran, dass ich es muss, mich in die Flucht treibt – dann ist das kein Widerspruch. Sondern Alltag. Die ständige Gratwanderung zwischen eigenem Anspruch und innerem Widerstand erzeugt ein komplexes Spannungsfeld: Ich will zeigen, was ich kann – und gleichzeitig entziehe ich mich genau dieser Bühne.
Impostor-Gefühle werden dadurch besonders intensiv: Denn ich weiß, dass ich Leistung erbringen könnte – aber ich fühle, dass ich es nicht schaffe. Und dieses Auseinanderklaffen von Potenzial und Verfügbarkeit wird schnell zum inneren Urteil: "Ich bin ein Betrug."
Trauma und die Angst, zu viel zu sein
Ich habe nicht nur gelernt, an mir zu zweifeln – ich habe auch gelernt, nicht zu viel Raum einzunehmen. Nicht zu laut zu lachen. Nicht zu sehr zu wissen. Nicht zu auffällig zu sein.
Denn früh schon gab es die Botschaft: „Du bist zu empfindlich.“ „Du übertreibst.“ „Stell dich nicht so an.“
Und aus diesen Sätzen wurde eine tiefe Prägung: Wenn ich mich ganz zeige, verliere ich Zugehörigkeit.
Gerade neurodivergente Menschen, besonders Frauen oder queere Personen mit Traumaerfahrungen, entwickeln nicht nur ein verzerrtes Selbstbild – sie entwickeln eine emotionale Alarmanlage für Ablehnung. Diese arbeitet auf Hochtouren, sobald sie spüren, dass sie irgendwo „zu viel“ sind: zu klug, zu sensibel, zu direkt, zu lebendig. Zu sie selbst.
In einer Welt, die uns beibringt, uns zu „regulieren“, bevor wir uns zeigen, ist es kein Wunder, dass viele von uns verinnerlichen:
Je sichtbarer ich werde, desto gefährdeter bin ich.
Und genau daraus kann sich ein zäher innerer Konflikt entwickeln: Ich will gesehen werden – aber ich habe Angst, was passiert, wenn ich es werde.
Das Impostor-Syndrom ist deshalb oft kein Zweifel an der Fähigkeit, sondern ein Schutzmechanismus vor Verletzung. Wenn ich innerlich klein bleibe, kann mich niemand stürzen. Wenn ich an mir zweifle, bin ich den Angriffen zuvor gekommen.
Doch diese Strategien sind kein persönliches Versagen – sie sind Überlebensweisen. Und sie dürfen anerkannt werden. Ohne Schuld, ohne Scham. Nur so kann etwas Neues entstehen: Mut zur Präsenz. Und Vertrauen in die eigene Berechtigung.
Sensorische Verarbeitung und Selbstzweifel
Wenn jedes Geräusch durch Mark und Bein geht, wenn Kleidung juckt, Lichter blenden und Stimmen sich wie ein Sturm im Kopf überlagern – dann ist es kein Wunder, dass viele neurodivergente Menschen sich überfordert fühlen. Doch was oft außen wie "Überempfindlichkeit" aussieht, ist innen ein Dauerfeuerwerk ungefilterter Reize.
Ich habe oft gezweifelt, ob ich einfach zu schwach bin. Ob ich zu empfindlich bin, zu wenig belastbar. Wenn andere in grellen Supermärkten einkaufen gehen konnten – warum saß ich dann zitternd im Auto, unfähig, das Gebäude zu betreten?
Diese Reizverarbeitung ist unsichtbar. Sie erklärt nicht nur Erschöpfung, sondern auch Selbstzweifel. Denn wenn scheinbar "banale" Dinge mich aus der Bahn werfen, stelle ich nicht die Umgebung infrage – sondern mich.
Dabei ist es nicht die Schwäche des Nervensystems. Sondern seine ungefilterte Wachheit. Und die verdient kein Urteil, sondern Fürsorge.
Sensorische Überforderung führt oft zu Rückzug, Vermeidung, Scham. Und genau das wird später als "sozialer Rückzug" pathologisiert. Aber was, wenn dieser Rückzug Selbstschutz ist? Was, wenn Selbstzweifel nicht die Ursache sind – sondern die Folge davon, sich permanent falsch kalibriert zu fühlen?
Das Impostor-Syndrom sitzt nicht nur im Kopf. Es wohnt auch in den Ohren, den Augen, der Haut. Es ist ein Körpergefühl, das sagt: "Ich bin nicht gemacht für diese Welt." Und genau deshalb brauchen wir mehr Verständnis – für das, was sich nicht messen lässt, aber täglich spürbar ist.
Was bedeutet das konkret?
Wenn dich ein Kompliment nervös macht, dein Herz rast, deine Haut kribbelt – dann ist das kein Zeichen von Undankbarkeit, sondern eine körperliche Stressreaktion. Viele neurodivergente Menschen erleben Anerkennung nicht als angenehm, sondern als Bedrohung: Das Nervensystem geht in Alarm, weil das Gefühl „ich bin es nicht wert“ tief verankert ist. Die Folge sind Scham, Überforderung oder der Drang, sich sofort wieder zu beweisen. Impostor-Gefühle sind deshalb nicht nur Gedanken – sie zeigen sich im ganzen System. Und genau deshalb braucht es auch körperliche Sicherheit, um innerlich ankommen zu können.
Auswirkungen im Alltag
Ich kenne Phasen, in denen ich perfekt funktionierte – nach außen. Und gleichzeitig innerlich überzeugt war: Ich fliege bald auf.
Perfektionismus und Prokrastination wechseln sich ab. Ich versuche, alles perfekt zu machen – aus Angst, enttarnt zu werden. Wenn das nicht geht, schiebe ich auf, fliehe, kapsele mich ab. Nicht, weil ich faul bin. Sondern weil der Druck, nicht gut genug zu sein, lähmt.
Lob tut weh. Nicht, weil ich bescheiden bin. Sondern weil ich das Lob als Missverständnis empfinde. Als hätten Menschen eine Leistung gesehen, die gar nicht mir gehört.
Selbst einfache Erfolge fühlen sich "nicht echt" an. Ich kann Texte schreiben, die tausendfach gelesen werden. Aber sobald jemand sagt: "Du hast mich berührt" – denke ich: "Warte ab. Du wirst noch merken, dass ich überschätzt bin."
Ich mache seit über 18 Jahren Nägel. Nageldesign ist nicht nur ein Handwerk für mich – es ist Teil meiner Identität geworden. Und trotzdem habe ich jedes Mal, wenn eine Preiserhöhung ansteht, ein inneres Drama. Nicht, weil ich die Qualität meiner Arbeit nicht kenne. Sondern weil ich sofort denke: Bin ich gut genug, um diesen Preis zu verlangen? Was, wenn sie mich dann nicht mehr wollen? Dabei passiert das Gegenteil: Menschen bestehen fast schon darauf, dass nur ich ihnen die Nägel mache. Sie sagen, sie fühlen sich bei mir wohl, sie lieben meine Designs, sie kommen extra von weiter weg. Und ich? Ich sehe überall bessere Studios. Modernere Einrichtungen. Trendigere Bilder auf Instagram. Mein erster Reflex ist: Warum ausgerechnet ich? Dieses Gefühl, nicht mithalten zu können, nicht „offiziell qualifiziert“ zu sein, nicht perfekt genug – es begleitet mich wie ein unsichtbarer Schatten. Und es zeigt, wie tief das Impostor-Syndrom selbst in den Bereichen greift, in denen ich Erfahrung, Leidenschaft und echtes Können mitbringe. Es geht nicht darum, ob ich gut bin. Sondern ob ich es mir selbst glaube.
Und genau dieses Gefühl kenne ich auch aus anderen Bereichen – zum Beispiel aus dem Moment, in dem ich meine Autismus- und ADHS-Diagnosen bekommen habe. Ich war mir vorher so sicher. Alles hat gepasst. Aber kaum war es schwarz auf weiß, kamen die Zweifel: Habe ich bei den Fragebögen vielleicht übertrieben? Wollte ich die Diagnose zu sehr? Bin ich überhaupt „autistisch genug“? Besonders, wenn ich Menschen sehe, die vermeintlich viel „deutlicher“ betroffen sind – als gäbe es eine Skala oder einen Wettbewerb, wer neurodivergenter ist. Dieses ständige Infragestellen – selbst von Dingen, die man längst gespürt hat – ist kein Einzelfall. Es ist das Impostor-Syndrom im Tarnanzug. Und es zeigt: Es geht nicht nur um Leistung. Sondern auch um das Recht, sich selbst zu glauben. Auch dann, wenn niemand anders zweifelt – außer ich.
Mikro-Validierung: Die kleinen Signale, die alles kippen können
Manchmal braucht es keine laute Kritik, um Zweifel zu säen. Es reicht ein ausweichender Blick, ein flüchtig hingeworfenes Kompliment, ein Stirnrunzeln beim Preis oder ein unkommentiertes Lob. Für Menschen mit Impostor-Gefühlen reichen solche Mikro-Momente, um das innere Selbstbild ins Wanken zu bringen: „War das ernst gemeint?“ – „Haben sie das nur gesagt, um mich nicht zu verletzen?“ – „Ich bilde mir das alles ein.“ Besonders neurodivergente Menschen nehmen solche feinen Signale oft sehr sensibel wahr – und interpretieren sie reflexhaft gegen sich. Deshalb ist bewusste, ehrliche Validierung so kraftvoll: Sätze wie „Ich sehe, wie viel du gegeben hast“ oder „Das war richtig stark von dir“ wirken wie Gegengewicht zum inneren Zweifler. Keine Schmeichelei – sondern Erdung. Und manchmal der erste Schritt, um sich selbst wieder ein Stück zu glauben.
Gesellschaftliche Faktoren
Das Impostor-Syndrom entsteht nicht im luftleeren Raum. Es ist auch ein gesellschaftliches Echo:
- Frauen wurden jahrzehntelang gelehrt, sich zu hinterfragen statt zu behaupten.
- Queere Menschen leben oft mit dem Gefühl, ihre Identität erklären zu müssen.
- Menschen mit Armutserfahrung oder Bildungshindernissen glauben oft, sie seien "aus Versehen" im falschen Raum gelandet.
Hinzu kommen Diagnostiklücken, Therapie-Verzerrungen und eine Welt, in der Normierung über Vielfalt gestellt wird. Kein Wunder, dass ausgerechnet neurodivergente, feinwahrnehmende Menschen sich am stärksten fragen: "Darf ich das überhaupt?"
In einer Gesellschaft, die Leistung über Sein stellt, wird Selbstwert schnell an Produktivität geknüpft – ein Boden, auf dem Zweifel leicht Wurzeln schlagen.
Wenn man sich dann noch mit den schillernden Influencern und Künstlern bei Instagram oder anderen Social Media Kanälen vergleicht, werden diese Zweifel schnell zur inneren Gewissheit: Ich bin nicht genug. Denn was man dort sieht, sind fertige Ergebnisse, perfekte Ästhetik, Selbstinszenierung – aber nie die Unsicherheit, das Scheitern, das Zögern davor. Gerade neurodivergente Menschen, die tief fühlen und viel wahrnehmen, vergleichen sich nicht nur oberflächlich. Sie vergleichen ihre inneren Kämpfe mit den äußeren Erfolgen anderer. Und das ist immer unfair. Denn Sichtbarkeit ist nicht gleich Echtheit. Und Erfolg ist nicht gleich Wert. Aber in einer Welt, in der das „gute Leben“ so oft durch Followerzahlen, durchpolierte Markenidentität und scheinbare Leichtigkeit dargestellt wird, ist es schwer, dem Gefühl zu entkommen, im falschen Film gelandet zu sein. Dabei ist das eigene Tempo, die eigene Tiefe, die eigene Art zu denken und zu fühlen nicht weniger echt – nur leiser. Und das verdient genauso viel Raum.
Mehr als nur Beruf: Wenn auch Intelligenz und Hobbys angezweifelt werden
Das Impostor-Syndrom betrifft nicht nur berufliche Leistungen. Es zieht sich durch alle Lebensbereiche – auch durch die Frage: Bin ich wirklich so schlau, wie andere glauben? Ich habe mich selbst dabei ertappt, wie ich nach einem bestandenen IQ-Test dachte: Vielleicht war das nur Zufall. Vielleicht habe ich unbewusst geschummelt. Vielleicht war das Testverfahren fehlerhaft. Selbst messbare Ergebnisse fühlen sich nicht belastbar an, wenn das innere Selbstbild dagegen spricht. Und es hört nicht beim Denken auf – auch Kreativität wird untergraben. Ich kenne so viele Menschen wie Jana, die malen, gestalten, schöpferisch sind – und trotzdem ihre Werke kleinreden. „Ist nicht so gut geworden.“ „Ich mach das ja nur für mich.“ „Andere sind viel besser.“ Dabei ist das, was sie schaffen, oft tief, berührend, ausdrucksstark. Aber der innere Zweifel bleibt laut. Das Impostor-Syndrom sagt nicht nur: Du bist kein Profi. Es flüstert: Du darfst dich selbst nicht ernst nehmen. Und genau deshalb verdient es Raum – nicht nur in Bewerbungsgesprächen, sondern auch in stillen Ateliers, zwischen Skizzen, Ideen und den Sätzen, die wir nur im Kopf sagen.
Warum gerade das Thema Hochbegabung so oft von Selbstzweifel begleitet wird, erzähle ich bald in einem eigenen Beitrag.
Wie Sprache den Zweifel zementiert
Sprache formt Realität. Und viele von uns haben früh gelernt, dass Worte nicht nur beschreiben, sondern bewerten. „Stell dich nicht so an.“ „Das bildest du dir ein.“ „Andere kriegen das doch auch hin.“ Diese Sätze klingen harmlos – aber sie wirken wie Stempel auf der Selbstwahrnehmung. Sie verschieben den inneren Fokus vom Erleben zur Rechtfertigung. Plötzlich geht es nicht mehr darum, wie es mir geht, sondern ob das, was ich fühle, zulässig ist. Besonders neurodivergente Menschen wachsen mit einem sprachlichen Fundament auf, das ihre Realität infrage stellt. Wenn du jeden Tag hörst, dass du übertreibst, empfindlich bist oder dich „nur zusammenreißen“ musst, beginnst du irgendwann, an dir selbst zu zweifeln. Die Sprache wird dann nicht zur Brücke – sondern zur Mauer zwischen Innen- und Außenwelt. Und genau das ist es, was das Impostor-Syndrom so tief verankern kann: Es ist nicht nur ein innerer Gedanke. Es ist ein Echo der Worte, die andere über uns gesprochen haben – und die wir irgendwann selbst übernommen haben.
Kognitive Dissonanz: Wenn Kopf und Gefühl nicht zusammenpassen
Ich weiß, dass ich etwas geleistet habe. Ich kann es logisch nachvollziehen, schwarz auf weiß sehen, vielleicht sogar belegen. Und trotzdem fühlt es sich nicht echt an. Dieses Auseinanderklaffen zwischen dem, was ich weiß, und dem, was ich fühle, nennt man kognitive Dissonanz – ein innerer Spannungszustand, der entsteht, wenn Gedanken und Emotionen sich widersprechen. Besonders beim Impostor-Syndrom ist diese Dissonanz quälend deutlich: Ich kann noch so oft hören, dass ich gut bin – wenn mein inneres Erleben ruft: „Das war Zufall, Glück oder Täuschung“, bleibt die Anerkennung wirkungslos. Der Kopf erkennt die Leistung an, aber das Gefühl bleibt: fremd, falsch, unverdient. Diese innere Zerrissenheit ist keine Einbildung, sondern eine neurobiologische Realität. Unser Gehirn strebt nach Kohärenz – und wenn die fehlt, sucht es oft den „Fehler“ bei uns selbst. Das Ergebnis: Scham statt Stolz, Rückzug statt Anerkennung. Heilung beginnt dort, wo wir diese Dissonanz nicht mehr als Beweis für unser Scheitern sehen – sondern als Signal dafür, wie tief alte Prägungen noch wirken.
Was hilft?
- Zweifel erkennen, aber nicht glauben. Es ist okay, Unsicherheit zu spüren. Aber sie ist kein Beweis. Zweifel sind Gedanken, keine Wahrheiten.
- Peer-Austausch. Mit anderen zu sprechen, die ähnlich empfinden, kann entlasten. Du merkst: Ich bin nicht allein. Und schon gar nicht "gestört".
- Erfolge festhalten. Nicht als Beweis für den Wert. Sondern als Erinnerung: Ich hab das gemacht. Punkt.
- Therapie darf sein. Auch wenn dein Kopf sagt: "Ich stell mich an." Deine Seele darf Raum haben. Du musst nicht kaputt sein, um Hilfe zu verdienen.
- Masken hinterfragen. Du musst nicht plötzlich alles "echt" machen. Aber du darfst vorsichtig ausprobieren, was von dir auch ohne Rolle funktioniert.
- Tools gegen den Zweifel: Was konkret hilft
Wenn der innere Kritiker laut wird, braucht es keine großen Heldentaten – sondern kleine, konkrete Strategien. Eine Liste mit Dingen, die du schon geschafft hast. Eine Nachricht von jemandem, der dich wirklich sieht. Ein Ordner mit Momenten, in denen du gewirkt hast – echt, mutig, klar. Auch Sätze wie „Ich glaube mir“ oder „Zweifel sind Gedanken, keine Fakten“ können wie Anker wirken. Und manchmal reicht ein Atemzug, ein Spaziergang, ein kurzer Abstand zur inneren Bewertung – um wieder zu spüren: Ich bin mehr als dieser Moment der Unsicherheit. - Identität neu verhandeln – mit Selbstmitgefühl
Das Impostor-Syndrom lebt davon, dass wir uns in alte Selbstbilder einspinnen: das Kind, das nie gut genug war. Die Schülerin, die nur für Einser geliebt wurde. Der stille Außenseiter, der sich Wissen wie eine Rüstung angeeignet hat. Doch Identität ist kein starres Konstrukt. Sie ist verhandelbar. Und diese Verhandlung braucht kein Urteil – sondern Mitgefühl. Mit dem Anteil in uns, der gezweifelt hat, weil er verletzt wurde. Mit der Version von uns, die überlebt hat, indem sie sich klein gemacht hat. Selbstmitgefühl bedeutet nicht, alles schönzureden – sondern ehrlich hinzuschauen, ohne Härte. Und genau darin beginnt ein neues Selbstverständnis: Nicht als Hochstapler. Sondern als Mensch in Entwicklung.
Du darfst sein, was du bist
Vielleicht hast du auch schon einmal gedacht: "Ich bin ein Irrtum."
Aber du bist keiner.
Du bist ein Mensch mit Geschichte, mit Mustern, mit innerem Ringen. Aber du bist nicht falsch hier. Du musst dich nicht entschuldigen, dass du denkst, fühlst, analysierst, zweifelst. Das alles macht dich echt. Und das ist nicht wenig.
Vielleicht wird das Impostor-Syndrom nie ganz verschwinden. Aber es muss dich nicht steuern.
Du darfst da sein. Mit allem.
Herzlich,
FliWi
Kennst du diese Gedanken auch? In welchen Momenten zweifelst du an dem, was eigentlich längst in dir steckt?
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