Unterschiedlich krank, unterschiedlich behandelt – Gender-Gaps in Medizin & Neurodivergenz

Veröffentlicht am 4. Juli 2025 um 18:00

© 2025 Lisa Widerek · Frauen mit ADHS, Autismus oder chronischen Symptomen passen oft nicht ins medizinische Raster – weil das Raster auf Männer ausgelegt ist. Ein ehrlicher Blick auf Forschungslücken, Zykluseffekte und das stille Leiden hinter dem Masking – persönlich, fundiert und unbequem.

Gleiche Diagnose, andere Realität

 

Was, wenn die Diagnose dieselbe ist – aber die Erfahrungen grundverschieden?
Was, wenn dieselbe Krankheit in einem anderen Körper ein anderes Gesicht trägt – und deswegen übersehen wird?
Frauen erleben ADHS oft als lähmende Erschöpfung statt als offensichtliche Unruhe. Sie erleben Autismus als ständige Anstrengung, „normal“ zu wirken – nicht als auffälliges Sozialverhalten. Sie spüren Schmerz diffus, chronisch, zyklisch – während die Medizin nach klaren, männlich codierten Symptomen sucht.

Frauen fallen in der Medizin oft durchs Raster:
Weil ihre Symptome leiser sind. Weil sie gelernt haben, sich anzupassen. Weil viele Studien bis heute fast ausschließlich mit männlichen Probanden durchgeführt wurden – und weibliche Körper, Zyklen und Lebensrealitäten kaum berücksichtigt werden. Die Folge: falsche Diagnosen, unangepasste Medikamente, fehlende Hilfe.

Gerade bei neurodivergenten Profilen wie ADHS, Autismus oder Hochsensibilität heißt das oft:
Zu spät erkannt. Falsch verstanden. Nicht ernst genommen. Stattdessen: funktioniere. Reiß dich zusammen. Oder schlimmer noch: Du bildest dir das ein.
Und das hinterlässt Spuren – nicht nur im medizinischen System, sondern im Selbstbild der Betroffenen.

 


Forschungslücke Frau


Dass weibliche Körper in der medizinischen Forschung jahrzehntelang unterrepräsentiert waren, ist kein Geheimnis – aber es ist ein blinder Fleck, der bis heute Leben kostet. Nicht symbolisch. Sondern ganz konkret.

Historisch galten männliche Probanden als „neutraler Standard“:
Weibliche Hormone galten als störend, nicht als relevant. Zyklusbedingte Schwankungen wurden als Chaos interpretiert – nicht als Ausdruck natürlicher Komplexität. Studien wurden an jungen, gesunden Männern durchgeführt, weil sie einfacher „kontrollierbar“ schienen. Frauen wurden systematisch ausgeschlossen: zu zyklisch, zu hormonell, zu variabel. So entstand eine Forschung, die zwar Daten lieferte – aber nur für die halbe Bevölkerung.

Die Folgen spüren wir bis heute:
Medikamente, die nie für weibliche Körper validiert wurden, werden millionenfach an Frauen verschrieben. Dosierungen, die sich an männlichen Körpern orientieren, führen bei Frauen zu Über- oder Unterversorgung. Nebenwirkungen werden bagatellisiert, Beschwerden als psychosomatisch abgetan. Was bei Männern als „klinisch relevant“ gilt, wird bei Frauen als „empfindlich“ belächelt.

Und das betrifft nicht nur klassische Somatik:
Herzinfarkt-Symptome bei Frauen? Ganz andere. Aber kaum bekannt.
Schmerzmittel? Wirken hormonabhängig. Aber standardisiert verordnet.
Und ganz besonders betroffen: Psychopharmaka.
Antidepressiva, Neuroleptika, ADHS-Medikamente – sie alle greifen tief in das fein abgestimmte Zusammenspiel von Hormonen, Neurotransmittern und individueller Regulation ein. Doch kaum jemand fragt, ob die Wirksamkeit im Laufe des Zyklus schwankt. Oder warum viele Frauen paradox auf Medikamente reagieren, die bei Männern „planmäßig“ funktionieren.

Ich erinnere mich an einen Moment, den ich nie vergessen werde:
Eine Ärztin sah meine Nebenwirkungen und sagte: „Ihre Reaktion ist ungewöhnlich.“
Ich saß da, mit zitternden Händen, einem Herzrasen wie auf der Flucht, völlig neben mir – und wusste: Nein. Diese Reaktion war nicht ungewöhnlich.
Sie war weiblich.
Sie war neurodivergent.
Und niemand hatte je richtig hingeschaut.

Denn wenn du als Frau nicht in der Studie vorkommst, dann bist du im System ein Ausreißer – kein Maßstab.
Aber wer nicht mitgedacht wird, wird nicht mitgemeint. Und wer nicht mitgemeint ist, wird nicht mitbehandelt.

 


ADHS bei Frauen – zu leise fürs System


ADHS wird oft mit Zappeligkeit und lautem Verhalten gleichgesetzt. Mit Jungen, die stören. Die aufstehen, dazwischenrufen, alles um sich herum vergessen.
Aber ADHS bei Frauen ist anders. Es ist stiller. Tarnfähiger. Heimlicher. Und gerade deshalb so gefährlich übersehen.

Bei Frauen lebt ADHS oft im Kopf – und im Herzen.
Es zeigt sich als ständiges Gedankenkreisen. Als nie versiegender Strom innerer Reize, der nach außen diszipliniert erscheint, aber innen tobt.
Als chronische Erschöpfung, weil jeder soziale Kontakt doppelt so viel Energie kostet.
Als Versinken in Tagträumen, während der Blick nach außen angepasst bleibt.
Als Impulsivität nach innen: Selbstzweifel, Selbstverletzung, Selbstabwertung.
Nicht laut. Sondern leise zerstörerisch.

Ich habe mein Leben lang funktioniert. Zu gut vielleicht. Ich war die, die meist alles im Griff hat – organisiert, leistungsfähig, freundlich. Aber ich war auch die, die Nächte durchweinte, sich selbst zerriss, nicht verstand, warum einfache Dinge für andere leicht und für mich ein Kraftakt waren.
Ich war die, die sich zu 120 % anstrengte, damit niemand merkt, dass innen alles wackelt.
Bis ich zusammenbrach.
Und alle überrascht waren.

Niemand sah vorher, wie viel Kraft es mich kostete, normal zu wirken. Niemand fragte. Denn ich war nicht auffällig genug. Nur erschöpft. Nur „etwas sensibel“. Nur „leicht überfordert“.

Frauen mit ADHS werden oft spät diagnostiziert. Weil sie sich anpassen. Maskieren. Übererfüllen. Bis sie nicht mehr können.
Dann heißt es: Burnout. Depression. Oder einfach „nicht belastbar genug“.

Sie erhalten Ratgeber für Selbstfürsorge. Oder Tipps zur besseren Organisation. Aber keine fundierte Diagnostik. Kein Blick hinter die Maske.

Statt „ADHS“ steht in Akten dann: Erschöpfungssyndrom. Angststörung. Fibromyalgie.
Und die Ursache bleibt unentdeckt – oder wird als Nebenbaustelle behandelt.

Dabei ist das keine individuelle Schwäche.
Es ist eine systemische Blindheit.
Eine, die Frauen täglich ihre Kraft kostet – und ihre Klarheit.
Und die verhindert, dass sie je erfahren, wie gut sie sein könnten, wenn sie nicht ständig nur versuchen müssten, zu genügen.

 


 

Zyklus und Wirkung – Hormonphasen, die alles ändern


Frauen sind zyklisch. Unser Hormonhaushalt verändert sich stetig. Und mit ihm verändert sich alles:
Konzentration. Impulsivität. Stimmung. Selbstwahrnehmung. Stresslevel. Schlaf. Körperempfinden.
Was an Tag 8 leichtfällt, kann an Tag 22 zur unüberwindbaren Hürde werden.
Und auch die Wirkung von Medikamenten – gerade bei ADHS oder Depression – schwankt spürbar mit.

Östrogen wirkt stimulierend auf das Gehirn, fördert Fokus, Motivation, kognitive Kontrolle.
Progesteron hingegen wirkt dämpfend, beruhigend – kann aber auch mit Stimmungstiefs, Reizoffenheit, Müdigkeit einhergehen.
In der ersten Zyklushälfte bin ich oft klar, strukturiert, belastbar. Ich bekomme Dinge geregelt. Ich kann Termine machen, Projekte planen, Entscheidungen treffen.
In der zweiten Hälfte kippt alles:
Ich werde langsamer. Unkonzentrierter. Kritischer mit mir selbst. Emotional dünnhäutig. Manchmal fast ängstlich.
Manche Tage fühlen sich an, als würde mein Nervensystem auf Hochspannung laufen – aber nach innen.

Und genau dann – wenn ich Stabilität am dringendsten bräuchte – wirken meine Medikamente nicht mehr gleich.
Mein vertrautes ADHS-Medikament, das mich morgens auf Kurs bringt, verpufft.
Ich sitze da, müde und überdreht zugleich. Kann nichts sortieren, nichts greifen, nichts abschalten.
Früher dachte ich, ich bilde mir das ein. Oder ich mache etwas falsch.
Heute weiß ich: Es ist mein Zyklus.

Doch in der Praxis? Gibt es Standarddosierungen. Für Standardkörper. Mit Standardstoffwechseln.
Meist männlich, meist linear, meist hormonell konstant.

Die Studienlage zur Wirkung hormoneller Schwankungen auf Psychopharmaka ist dünn.
Es gibt Hinweise, Erfahrungswerte, Anekdoten – aber kaum systematisch kontrollierte Studien.
Die Forschung spart den Zyklus oft aus. Oder blendet Frauen ganz aus – zu komplex, zu variabel.
Dabei wäre genau das die Realität, die behandelt werden muss.

Und was das konkret bedeutet?

  • Eine Frau kann an Tag 10 dasselbe Medikament brauchen wie ein Mann – aber an Tag 24 ein ganz anderes.
  • Sie kann auf eine ADHS-Dosis an einem Tag überfokussiert reagieren – und an einem anderen Tag in Tränen ausbrechen, weil der Rebound zu heftig ist.
  • Sie kann an manchen Tagen Reize filtern – und an anderen nichts mehr ertragen: kein Licht, kein Ton, kein Gespräch.
  • Sie kann an Tag 15 produktiv und empathisch Gespräche führen – und an Tag 25 sich selbst kaum zuhören.

Ich habe erlebt, wie ich an einem Zyklustag hochfunktional war – und am nächsten nichts mehr zusammenbekam.
Wie ich Gespräche absagen musste, weil ich mich selbst nicht regulieren konnte.
Wie ich dachte, ich sei instabil – dabei war ich einfach nur biologisch im Umbau.

Und niemand hatte mich je darauf vorbereitet.

Was wäre, wenn Medikamente auf Zyklusphasen abgestimmt würden?
Wenn Dosierungen angepasst würden, statt die Schuld in der „fehlenden Disziplin“ zu suchen?
Wenn wir ehrlich sagen dürften: „Ich brauche heute eine andere Strategie – nicht, weil ich inkonsequent bin, sondern weil mein Körper es gerade anders braucht“?

Noch immer gilt zu oft: Wenn Frauen unterschiedlich reagieren, sind sie „schwierig“. „Launisch“.
Dabei ist es die Medizin, die zu einfach denkt.
Nicht der weibliche Körper, der zu komplex ist – sondern das System, das Komplexität nicht aushält.

 


 

Autismus und Gender – eine stille Verzerrung


Auch Autismus sieht bei Frauen anders aus.
Und doch wurde er jahrzehntelang fast ausschließlich an Jungen erforscht, beschrieben und definiert.
Die klassischen Diagnostikkriterien orientieren sich an männlichen Profilen – auffällig, direkt, laut.
Was dabei übersehen wird: Wie viel sich innen abspielt, ohne dass außen etwas davon sichtbar ist.

Ich war nicht das stillste, unauffälligste Kind.
In der Schule funktionierte ich – meistens. Ich wusste, wie man „sich benimmt“. Ich passte mich an. Ich beobachtete. Ich scannte.
Aber kaum fiel die Tür zu Hause hinter mir ins Schloss, brach alles über mir zusammen.
Türschwellenabsturz.
Ein Begriff, den ich erst viel später kennenlernte – und der doch mein ganzes Aufwachsen beschreibt.

Für Fremde war ich das brave, intelligente Mädchen.
Für meine Mutter war ich oft eine Zumutung.
Ich diskutierte alles, stellte Autorität infrage, wehrte mich gegen scheinbar harmlose Anforderungen – nicht, weil ich trotzig war. Sondern weil mein System jede Form von Druck als existenzielle Bedrohung empfand.
Pathological Demand Avoidance – PDA.
Ein Unterprofil von Autismus, das alles erklärt, was vorher nur nach „Problemkind“ aussah.

Ich funktionierte in der Schule – unter hohem Energieeinsatz.
Aber zu Hause war ich unregulierbar, impulsiv, fordernd. Ich war nicht angepasst – ich war erschöpft.
Niemand verband beides miteinander. Stattdessen galt ich als widersprüchlich – angepasst und anstrengend zugleich.
Ich war nie nur eins. Ich war immer beides.

Mein Spezialinteresse war – und ist – Psychologie.
Ich wollte verstehen. Alles. Jeden. Mich.
Und es ist kein Zufall, dass gerade autistische Frauen so oft Psychologie zu ihrem Herzensthema machen.
Wir versuchen, durch Analyse zu überleben.
Durch Muster. Durch Erklärungen. Durch Kontrolle.

Mein gesamter Blog, mein Buchprojekt, mein Instagram-Profil – all das ist Ausdruck dieses tiefen Verstehenswillens.
Ich habe so viele Jahre damit verbracht, menschliches Verhalten zu lesen, zu entschlüsseln, zu strukturieren, dass ich manchmal schon beim ersten Gespräch die ganze Persönlichkeit meines Gegenübers vor mir sehe – wie eine aufgefaltete Landkarte.

Ich entschuldige mich heute manchmal dafür, dass ich eine Scanner-Persönlichkeit bin.
Dass ich Menschen analysiere, oft automatisch, einfach weil mein Gehirn das schon getan hat, bevor ich es merke.
Ich sage inzwischen dazu: „Wenn du möchtest, teile ich dir mit, was ich über dich sehe – aber wenn du es nicht willst, lasse ich es.“
Und ja – ich halte mich daran.

Denn ich habe gelernt, dass nicht jeder gesehen werden will.
Und dass es nicht meine Aufgabe ist, ungefragt in Systeme einzudringen.
Aber wenn jemand sich wirklich verstanden fühlen will – dann kann ich da sein.
Dann kann ich übersetzen. Zwischen Verhalten und Bedürfnis. Zwischen Schutzreaktion und Persönlichkeit.

Viele autistische Frauen bekommen ihre Diagnose erst spät.
Nicht, weil sie keine Anzeichen zeigen – sondern weil sie andere zeigen.
Weil sie sich sozial gut bewegen, Gespräche führen, Beziehungen aufrechterhalten.
Aber der Preis ist hoch.
Masking, nennen wir das – die ständige Anstrengung, normal zu wirken.

Und auch das wird bei Frauen oft nicht erkannt.
Stattdessen bekommen wir andere Diagnosen: Borderline. Depression. Angststörung.
Ich hatte sie alle – auf dem Papier.
Aber keine davon erklärte, warum alles gleichzeitig war – die Überforderung, die Reizempfindlichkeit, die soziale Analyse, die emotionale Tiefe und die soziale Erschöpfung.

Ich war nicht zu empfindlich. Ich war zu ungefiltert.
Ich war nicht zu analytisch. Ich war zu wach.
Ich war nicht „zu viel“. Ich war autistisch – auf weibliche Weise.

Und genau das wird immer noch viel zu selten gesehen.

 


 

Es ist nicht nur anders – es zählt anders

 

Was wir in der Medizin erleben, ist keine zufällige Ungleichheit.
Es ist kein bedauerlicher Einzelfall. Kein „kann mal passieren“.
Es ist ein struktureller Gender-Gap – eingebrannt in Forschung, Ausbildung und Versorgung.
Ein Systemfehler, der sich wie ein roter Faden durchzieht: von der Wartezimmerfrage bis zur medikamentösen Dosierung.

Es geht nicht nur darum, dass etwas anders ist – sondern dass es anders gewichtet wird.
Dass Frauenkörper – und weibliche Wahrnehmungen – weniger Glaubwürdigkeit besitzen.
Nicht weil wir weniger fühlen, sondern weil wir anders fühlen. Und weil das nicht in die Norm passt.

Wenn eine Frau sagt, dass sie Schmerzen hat, wird sie häufiger als überempfindlich abgestempelt.
Wenn sie über Müdigkeit spricht, wird sie gefragt, ob sie vielleicht psychisch überlastet ist.
Wenn sie in einer Therapie nicht sofort öffnet, heißt es: „Sie sind nicht bereit.“
Ein Mann hingegen bekommt oft die Annahme von Tiefe und Komplexität. Die Suche nach anderen Herangehensweisen.

Ich habe oft gehört:
„Stellen Sie sich nicht so an.“
„Sie wirken doch ganz normal.“
„Sie funktionieren doch.“
Ja. Ich habe funktioniert. Aber zu welchem Preis?

Und besonders schmerzhaft wird es bei neurodivergenten Frauen.
Wenn sie nicht dem entsprechen, was in den Lehrbüchern über Autismus oder ADHS steht, dann gelten sie nicht als Beweis für die Vielfalt – sondern als Ausnahme, als untypisch, als „nicht passend“.
Nicht das System wird hinterfragt – sondern wir.
Nicht die Diagnostik wird angepasst – sondern unsere Glaubwürdigkeit.

Ein Junge, der auf dem Schulhof schreit, bekommt einen Förderplan.
Ein Mädchen, das nach der Schule in ihrem Zimmer hyperventiliert, bekommt gesagt: „Du musst halt mit dem Stress besser umgehen.“

Und auch in der Forschung bleibt unsere Realität oft unsichtbar:
Weibliche Zyklen? Zu kompliziert.
Masking? Zu schwer messbar.
PDA? Zu selten, zu unklar, zu widersprüchlich.

Aber wir sind nicht widersprüchlich.
Wir sind komplex. Vielschichtig. Und sehr real.
Was wir brauchen, ist kein Mitleid – sondern ein Paradigmenwechsel.
Einen, der nicht fragt: „Was stimmt mit dir nicht?“
Sondern: „Was stimmt mit der Annahme nicht, wie du sein sollst?“

Und das beginnt auch bei den Fachpersonen.
Ich habe in meinem Leben viele Psycholog*innen erlebt, die zwar jedes Diagnoseschema zitieren konnten – aber keine Idee hatten, wie sich neurodivergente Symptome in der Realität zeigen können, wenn sie nicht ins Standardbild passen.
Da wurde aus Rückzug eine Depression, aus Reizüberflutung ein psychosomatisches Problem, aus Masking ein „zu viel nachgedacht“.

Es fehlt oft nicht an Wissen – es fehlt an Komplexitätsfähigkeit. An Neugier. An echter Bereitschaft, Symptome im Kontext zu sehen, Menschen als Ganzes zu betrachten. Und nicht alles, was nicht im Lehrbuch steht, gleich zu entwerten.

Vielleicht ist das auch der Grund, warum ich Heilpraktikerin für Psychotherapie werden möchte.
Weil ich nicht nur verstehen, sondern anders handeln will. Weil ich mir wünsche, dass mehr Menschen sich gesehen fühlen – so wie ich es mir jahrelang gewünscht habe.
Und falls du das liest und denkst: „Das klingt wichtig“ – dann freue ich mich über jede Form von Unterstützung. Sei es ein wohlwollendes Wort, eine geteilte Erfahrung oder ein Impuls, wie ich diesen Weg weitergehen kann.

Denn Veränderung beginnt nicht nur im System.
Sie beginnt auch bei den Menschen, die bereit sind, neu zu denken.

 


 

Was ich mir wünsche

 

Ich wünsche mir, dass wir anfangen, neurodivergente Mädchen früher zu sehen – nicht erst, wenn sie zusammenbrechen, sondern schon dann, wenn sie anfangen, sich zu verbiegen.
Dass wir ihre stillen Signale hören, ihre Überanpassung erkennen, bevor sie sich selbst verlieren.

Ich wünsche mir, dass wir Stärke nicht mehr mit Funktionieren verwechseln.
Dass wir anerkennen, wie viel Kraft es kostet, sich jeden Tag zusammenzureißen, zu lächeln, mitzuhalten – wenn innerlich alles tobt.
Dass wir nicht erst dann Hilfe geben, wenn nichts mehr geht, sondern wenn jemand den Mut hat zu sagen: „Ich halte das so nicht mehr aus.“

Ich wünsche mir, dass wir Zyklusdaten nicht als störende Variable betrachten, sondern als wichtige Informationsquelle.
Dass es selbstverständlich wird, bei der Dosierung von Medikamenten auch hormonelle Schwankungen zu berücksichtigen.
Dass Frauen nicht länger das Gefühl haben müssen, sich ihre Wahrnehmung nur einzubilden – sondern dass es anerkannt wird, dass Körper und Psyche im Monatsverlauf anders reagieren.

Ich wünsche mir Medikamente, die nicht für den „Durchschnittsmann“ gemacht sind, sondern für Menschen – in ihrer Vielfalt, in ihren Rhythmen, in ihren Reaktionen.
Ich wünsche mir klinische Studien, die Frauen nicht ausschließen, sondern einschließen.
Ich wünsche mir, dass Empirie nicht nur das misst, was leicht messbar ist – sondern das, was wirklich zählt.

Ich wünsche mir Therapieansätze, die Masking nicht pathologisieren, sondern verstehen.
Die erkennen, dass es ein Schutzmechanismus war – oft lebensnotwendig.
Und die dabei helfen, sich selbst wiederzufinden, Schicht für Schicht.
Nicht mit Gewalt. Sondern mit Geduld. Und Würde.

Ich wünsche mir, dass wir aufhören, neurodivergente Frauen als „zu empfindlich“ oder „zu kompliziert“ abzutun – und anfangen zu fragen:
„Was hast du gebraucht, das du nicht bekommen hast?“

Ich wünsche mir, dass mehr Stimmen laut werden, die sagen:
Ich bin betroffen. Ich bin nicht falsch. Ich habe das Recht, ernst genommen zu werden.

Und ich wünsche mir, dass wir aufhören, uns dafür zu entschuldigen, wie viel wir fühlen, denken, sehen, wissen.
Dass wir anfangen, unsere Art des Seins nicht nur zu verteidigen – sondern zu feiern.

 


 

Teile deine Gedanken. Was hast du erlebt? Wann hast du dich nicht gesehen gefühlt?

Herzlich,
FliWi

 


 

#GenderGap #Medizin #ADHSbeiFrauen #Autismus #ZyklusundMedikamente #Masking #Neurodivergenz #Therapie #FrauenundDiagnostik #FliWiBlog #charmeundchaos #AuDHS #PDA #Diagnostik #HeilpraktikerfürPsychotherapie #Berufung #Psychologie #Hormone

 

Kommentar hinzufügen

Kommentare

Es gibt noch keine Kommentare.