Verbindung ohne Verstehen – Wenn Empathie anders funktioniert als erwartet

Veröffentlicht am 6. Juli 2025 um 10:00

© 2025 Lisa Widerek · Warum echte Nähe oft nicht an Schulwissen scheitert, sondern an Vorstellungskraft

Zwischen Herz und Verstand: Wenn Nähe nicht reicht

Ich dachte lange, wenn man jemanden liebt, reicht das. Wenn man emotional intelligent ist, müsste es doch selbstverständlich sein, sich in andere Menschen einzufühlen. Und doch erlebe ich immer wieder Situationen, in denen genau das nicht klappt – auch nicht unter neurodivergenten Menschen. Nähe allein bedeutet nicht, dass man einander versteht. Und Empathie heißt nicht immer, dass man sich wirklich fühlen kann.

 


 

Die Sache mit der Fähre und der Insel

In meinem Kopf gibt es eine Metapher: Mit ihm zusammen zu sein, wäre für mich wie auf meiner Trauminsel zu leben. Dafür müsste ich aber auf eine alte, klapprige Fähre steigen, bei Sturm, in der Hoffnung, dass ich irgendwann dort ankomme – ohne Schiffbruch. Mit einem anderen Menschen zu sein, fühlt sich dagegen an wie eine stabile Nachbarinsel, die ich bequem mit dem Fahrrad erreiche. Sicher. Verlässlich. Aber es gibt keine Brücke zur Trauminsel. Nur ein ständiger Kreisverkehr.

Diese Vorstellung beschreibt perfekt den Unterschied zwischen „es funktioniert auf dem Papier“ und „es resoniert in der Tiefe“.

 


 

Wenn Menschen beim Ertrinken zusehen – und trotzdem nichts tun

Es gibt Momente, in denen ich mich fühle, als würde ich innerlich ertrinken. Ich weiß, dass mein Gegenüber das sieht. Ich weiß, dass er es spürt. Und trotzdem wirft er mir kein Seil zu. Nicht, weil es ihm egal ist – sondern weil er emotional blockiert ist. Er weiß theoretisch, dass ich leide. Aber er fühlt es nicht auf eine Weise, die ihn ins Handeln bringt. Ich erlebe das bei Menschen, die ich liebe – und das zerreißt mich.

 


 

Neurodivergenz heißt nicht Gleichklang

Viele neurodivergente Menschen hoffen, bei anderen Neurodivergenten besser verstanden zu werden. Aber das ist keine Garantie. ADHS ist nicht gleich ADHS. Autismus nicht gleich Autismus. Unsere Diagnosen sagen nichts über unser emotionales Repertoire, unsere Lebensgeschichte oder unsere Beziehung zu Schmerz, Schuld, Scham. Ich sehe das an Jana, die mit einer Freundin spricht, die ebenfalls ADS hat – und trotzdem kein Verständnis für ihre Reizempfindlichkeit. Es geht nicht nur um Symptome. Es geht um Haltung, Verarbeitung, Offenheit.

 


 

Logische Empathie – Wenn ich dich verstehe, ohne dich zu fühlen

Ich habe eine Art von Empathie, die viele nicht kennen: eine logische Empathie. Ich kann oft sehr genau analysieren, was in anderen vorgeht. Ich kann es sogar erklären. Aber ich fühle es nicht im klassischen Sinn. Ich bin nicht von Emotionen überschwemmt, sondern von Daten, Eindrücken, Beobachtungen. Ich verstehe durch Strukturen, nicht durch Mitfühlen. Und genau das wird mir oft zum Verhängnis.

Ich wirke dann kühl. Abgehoben. Arrogant. Oder – wie eine Diplompsychologin einmal zu mir sagte – „Sie haben ein Empathieproblem.“ Aber das stimmt nicht. Ich habe kein Empathieproblem. Ich habe eine andere Empathie. Eine, die viele nicht verstehen, weil sie sich selbst nicht aus dieser Perspektive kennen.

 


 

Warum Therapeuten manchmal weniger verstehen als Freunde

Es gibt Menschen mit jahrelangem Psychologiestudium, die mich nicht verstehen. Die zwar Theorien kennen, aber keine Vorstellung haben, wie es wirklich ist, so zu denken, so zu fühlen, so zu ticken. Und es gibt Freunde wie Jana, die keine Diagnosen brauchen, um mich in der Tiefe zu sehen. Weil sie nicht urteilen. Weil sie nicht verstehen wollen, sondern verstehen lassen.

 


 

Die Idee einer Themenreihe: Wenn Empathie anders ist

Ich spüre, dass dieses Thema größer ist. Es wird nicht bei einem Artikel bleiben. Ich möchte eine ganze Reihe daraus machen:

  • Wie logische Empathie funktioniert

  • Wie sich neurodivergente Menschen gegenseitig missverstehen können

  • Warum Nähe manchmal weniger hilft als Distanz mit Verständnis

  • Und wie wir lernen können, uns trotzdem zu begegnen

Wenn du das kennst – dieses Gefühl, zu viel zu fühlen und doch nicht berührt zu werden – dann bist du hier richtig. Ich weiß, wie das ist. Und ich glaube: Wir müssen uns gegenseitig neue Sprachen der Nähe beibringen.

 


 

Teile diesen Text, wenn du Menschen kennst, die fühlen, aber anders.

Herzlich, FliWi

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