Komorbiditäten bei Autismus – Wenn Reizverarbeitung nicht nur im Kopf passiert

Veröffentlicht am 11. Juli 2025 um 18:00

© 2025 Lisa Widerek · Viele autistische Menschen kennen das Gefühl, dass der eigene Körper nicht einfach nur „funktioniert“ – sondern mitreagiert, mitschwingt, mitkämpft. Dieser Artikel gibt dir einen tiefen Einblick in die körperlichen Begleiterscheinungen, die oft übersehen werden – aber zentral für das Verständnis von Autismus sind. Für alle, die ahnen: Das ist mehr als „nur Psyche“.

Wenn der Körper neurodivergent spricht

 

Ich habe diese Frage jahrelang nicht gestellt. Nicht, weil ich sie nicht für wichtig hielt, sondern weil ich dachte, es sei normal.
Dass mein Herz rast, wenn ich aufstehe.
Dass mir dauernd schwindlig ist.
Dass ich auf Duftstoffe reagiere, als wäre ich eine wandelnde Alarmanlage.
Dass mein Kiefer nachts knackt, weil ich so viel presse.
Dass meine Haut juckt, wenn andere nur zucken.
All das war eben ich. Sensibel, anstrengend, überreizt.
Und oft wurde mir gesagt: "Das ist psychisch."

Aber da war noch mehr.


Bewegungsdrang statt Faulheit

 

Ich bekam schon als Kind Ärger dafür, dass ich dauernd auf meinen Fußaußenkanten stand.
Meine Mutter schimpfte, das sei kein Wunder, dass ich mir die Gelenke kaputt mache und ständig umknicke.
Ich habe mich oft gefragt, warum ich selbst bei Normalgewicht nicht lange stehen konnte, ohne Rückenschmerzen des Todes zu bekommen.
In meiner Übergewichtszeit dachte ich, das sei klar.
Doch selbst als ich sportlich war, blieb das Problem: Ich kann nicht still stehen. Nicht lange.
Ein bisschen tanzen, mich bewegen – das geht. Aber auf einer Stelle stehen?
Mein Körper rebelliert.
Heute vermute ich: Das war kein Zufall.
Das war Autismus – mit körperlicher Beteiligung.


Das nervöse Bauchgefühl

 

Auch Magen-Darm-Probleme begleiteten mich – fast mein ganzes Leben.
Ich wurde immer wieder mit „Reizdarm“ abgespeist, ohne dass jemand die eigentlichen Zusammenhänge hinterfragte.
Die Bauchschmerzen, Blähungen, das Gefühl ständiger Reizbarkeit im Inneren – es wurde nie systematisch betrachtet.
Erst durch die Beschäftigung mit Mastzellaktivierung und autonomer Reizverarbeitung begann ich zu verstehen:
Es war ein körperliches Echo auf ein überaktives Nervensystem.


Immunabwehr im Ausnahmezustand

 

Dann ist da noch mein Immunsystem:
Ich habe einen auffälligen Globulinmangel, der auch bei meinem großen Sohn festgestellt wurde.
Die Werte waren nie dramatisch schlecht – aber auffällig genug, dass sich eine chronische Infektanfälligkeit zeigte.
Ein weiteres Puzzleteil, das lange unbemerkt blieb.


Wenn Gesichter verschwimmen

 

Und ich bin gesichtsblind.
Menschen außerhalb ihres Kontextes erkenne ich schlicht nicht – es sei denn, sie sind mir extrem vertraut.
Meine eigene Mutter würde ich überall erkennen.
Aber meine Fitnesstrainerin, die ich jede Woche im Studio sah, lief mir im Wintermantel mit ihrem Hund entgegen –
und ich ging an ihr vorbei.
Kein Wiedererkennen. Keine Einordnung. Das passiert mir regelmäßig.
Gesichtsblindheit – oder Prosopagnosie – ist eine unterschätzte Begleiterscheinung neurodivergenter Profile.


Wenn Werte täuschen

 

Dazu kommen ständig irgendwelche Vitaminmängel – oder zumindest Symptome davon.
Oft liegen meine Werte noch im "Normbereich".
Doch mein Körper zeigt deutlich, dass da etwas nicht passt:
Müdigkeit, brüchige Nägel, Schwindel, Konzentrationsprobleme – Dinge, die nie ernst genommen wurden.
Ich wurde lange nicht ernst genommen.


Frühwarnsystem Körper

 

Und dann gibt es da noch dieses Gefühl, dass mein Körper viel früher signalisiert, wenn etwas „zu viel“ ist – körperlich wie emotional.
Ich brauche länger, um mich zu regenerieren, reagiere empfindlicher auf Schlafmangel oder Überlastung,
und mein vegetatives Nervensystem fährt gefühlt schneller aus der Spur als bei anderen.
Das war früher für mich einfach „komisch“ – heute ist es für mich: nachvollziehbar. Autistisch. Und verdammt wichtig.


 

Mehr als nur ein Neurotyp: Wenn Autismus den ganzen Menschen betrifft

 

Autismus wird oft als reine Denk- und Wahrnehmungsbesonderheit verstanden. Als neurologisches Anderssein, das sich in Kommunikation, Sozialverhalten und Flexibilität zeigt.
Aber Autismus ist mehr. Er betrifft den ganzen Menschen. Auch den Körper. Auch das, was wir nicht auf den ersten Blick sehen.

Immer mehr Forschung zeigt: Autistische Menschen haben eine höhere Wahrscheinlichkeit für bestimmte körperliche Komorbiditäten. Und diese sind nicht "Zufall" – sondern Teil des autistischen Profils.
Wer denkt, Autismus sei "nur eine andere Art zu denken", verkennt die Vielschichtigkeit neurodivergenter Lebenserfahrungen.

Studien zeigen:

  • Eine Metaanalyse von McElhanon et al. (2014) fand heraus, dass autistische Kinder dreimal häufiger unter Magen-Darm-Problemen leiden als neurotypische Kinder (DOI: 10.1542/peds.2013-3995).

  • Ebenso zeigen sich Zusammenhänge zwischen Autismus und dem Ehlers-Danlos-Syndrom (Santos et al., 2020, Frontiers in Psychiatry), wobei Hypermobilität und chronische Schmerzen gehäuft auftreten.

  • Auch POTS (Posturales Tachykardie-Syndrom) wird in mehreren Fallstudien mit Autismus in Verbindung gebracht – oft nicht neurologisch, sondern dysautonom begründet, also durch eine Störung des autonomen Nervensystems.

  • Zudem findet sich eine häufigere Diagnose von MCAS (Mastzellaktivierungssyndrom) bei autistischen Personen, insbesondere in Kombination mit sensorischer Überempfindlichkeit und Allergien (Theoharides et al., 2016, Translational Psychiatry).

Diese körperlichen Komorbiditäten sind nicht einfach Begleiterscheinungen.
Sie sind Ausdruck eines gesamten neurobiologischen Profils, das anders funktioniert – und das endlich gesehen werden muss.


 

Gummimensch mit Schmerzgrenze

 

Ich war immer "zu beweglich". Konnte meine Finger verbiegen, den Arm verdrehen, war stolz auf meinen "Gummi-Körper" – bis die Schmerzen begannen.
Später las ich von der Verbindung zwischen Autismus und dem Hypermobilitätstyp des Ehlers-Danlos-Syndroms (hEDS).
Eine Bindegewebsschwäche, die Gelenke instabil macht, Schmerzen verursacht und oft lange unerkannt bleibt.

Studien zeigen: Viele autistische Menschen haben ähnliche Symptome – ohne dass je jemand die Verbindung herstellt.
Stattdessen heißt es: psychosomatisch. Oder: Überempfindlich.
Dabei ist hEDS kein Hirngespinst.
Sondern eine körperliche Realität, die in der Medizin oft übersehen wird.


 

Mastzellaktivierungssyndrom (MCAS): Wenn der Körper in Alarmbereitschaft lebt

 

Hautausschläge ohne Grund. Juckreiz. Atemnot. Bauchweh nach scheinbar normalen Mahlzeiten. Unerklärliche Schwellungen.
Ich dachte lange, ich bilde mir das ein. Oder reagiere einfach über. Erst als ich auf MCAS stieß, ergab alles einen Sinn.

Das Mastzellaktivierungssyndrom ist eine Fehlregulation des Immunsystems.
Die Mastzellen – zuständig für Allergien und Entzündungsreaktionen – reagieren überschießend.
Auf Lebensmittel. Duftstoffe. Stress. Hormone. Oder auf gar nichts.
Es ist, als wäre der eigene Körper in Daueralarm.

Auch hier zeigt sich: Viele autistische Menschen berichten ähnliche Symptome.
Und doch wird selten ein Zusammenhang hergestellt. Noch seltener wird wirklich behandelt.


 

Neurodermitis, Zähneknirschen und CMD: Stress zeigt sich auf der Haut – und im Kiefer

 

Meine Haut ist mein Seismograph.
Wenn Stress kommt, juckt sie. Wenn Überforderung naht, wird sie rot, schuppig, rissig.
Ich hatte als Kind Neurodermitis. Heute weiß ich: Es war kein Hautproblem. Es war ein Ausdruck meiner Reizverarbeitung.

Ebenso mein Kiefer. Ich presse. Immer. Nachts besonders.
Mein Zahnarzt sagt: Bruxismus. Meine Osteopathin sagt: CMD. Mein Nervensystem sagt: Überleben.
Autistische Menschen tragen oft Spannung im Gesicht, im Nacken, im Kiefer.
Weil sie versuchen, still zu bleiben, sich anzupassen, zu "funktionieren".

Und der Preis? Zahnprobleme. Schmerzen. Dauermüdigkeit.
Oft wird das als stressbedingt abgetan.
Aber was, wenn Stress nicht die Ursache ist, sondern das System an sich nie zur Ruhe kommt?


 

Augen und Licht: Sehen ist nicht gleich Wahrnehmen

 

Ich bin lichtempfindlich.
Neonlicht macht mich fertig. Flackernde Bildschirme stressen mich.
Ich trage oft Sonnenbrillen, selbst bei wenig Sonne.
Und ich habe Schwierigkeiten, von nah auf fern umzuschalten – beim Autofahren, beim Lesen, beim Gesprächeführen.

Meine Pupillen reagieren verzögert.
Als Teenager wurde mir bei einem Pupillendrogentest gesagt, meine Werte seien "auffällig".
Ich hatte nichts genommen. Ich war einfach nur ich.
Und niemand wusste, dass das autistisch sein kann.

Auch leichtes Schielen, Probleme mit dem visuellen Fokus, Augenzittern oder das sogenannte "Schielen auf einer Achse" sind bei autistischen Menschen häufiger als gedacht.
Aber auch hier gilt: Wer nicht sucht, findet nichts. Und wer nur typische Symptome kennt, übersieht die Vielfalt.


 

Kreislauf und Herz: Wenn das Nervensystem nie ruht

 

Mein Puls war immer hoch. Selbst im Sitzen. Selbst im Schlaf.
Ich hatte ständig das Gefühl, gleich umzukippen. Der Kreislauf spielte verrückt.
In der Pubertät stand einmal ein Verdacht auf Cushing-Syndrom im Raum – wegen eines dauerhaft erhöhten Cortisolspiegels.
Am Ende hieß es: psychosomatisch.

Jahre später lernte ich: Viele autistische Menschen haben Symptome wie bei POTS (posturales Tachykardie-Syndrom).
Stehen führt zu einem starken Pulsanstieg.
Es kommt zu Schwindel, Zittern, Schwäche, teilweise bis zur Ohnmacht.

Es ist nicht nur "Nervosität". Es ist nicht "Stress".
Es ist eine Reaktion eines Nervensystems, das ständig auf Empfang steht.


 

Schilddrüse und Neurodivergenz

 

Viele neurodivergente Menschen berichten von Problemen mit der Schilddrüse – insbesondere einer Unterfunktion.
Symptome wie Müdigkeit, Antriebslosigkeit oder Konzentrationsprobleme überlappen stark mit ADHS oder Autismus.
Häufig bleibt ein tatsächlicher Hormonmangel unerkannt, weil nur der TSH-Wert bestimmt wird.
Dabei braucht es oft eine detaillierte Untersuchung von fT3, fT4 und Antikörpern.

Bei mir war der TSH oft normal – doch mein Körper schrie nach Unterstützung.
Erst eine engagierte Ärztin stellte fest, dass mein System feiner reagiert als der Standard es misst.
Eine medikamentöse Unterstützung brachte spürbare Entlastung – körperlich wie geistig.


 

Blasenschwäche / Reizblase

 

Ein Thema, über das kaum jemand spricht: Reizblase und Blasenschwäche.
Gerade unter Stress oder Reizüberflutung reagieren viele neurodivergente Menschen mit erhöhter Harndrangfrequenz oder einem Gefühl, nie ganz „leer“ zu sein.
Für mich war das jahrelang peinlich – ich dachte, ich bilde mir das ein.
Heute weiß ich: Mein autonomes Nervensystem reagiert einfach empfindlicher.
Bei starker Reizung, sozialen Unsicherheiten oder körperlichem Stress signalisiert mein Körper Flucht –
und dazu gehört auch eine blitzartige Aktivierung der Blase.
Nicht psychisch, sondern physiologisch anders verschaltet.


 

Dysmenorrhoe / PMS und Autismus

 

Viele autistische und ADHS-betroffene Frauen erleben ihre Menstruation intensiver.
Krämpfe, Stimmungsschwankungen, starke Blutungen – das alles kann deutlich heftiger ausfallen.
Ich dachte lange, ich sei einfach „wehleidig“. Aber mein ganzer Körper war in diesen Phasen auf Alarm geschaltet.

Studien zeigen, dass hormonelle Schwankungen bei neurodivergenten Menschen besonders stark in der Wahrnehmung wirken.
Reizfilter funktionieren schlechter, Schmerzempfinden steigt, emotionale Regulation sinkt.

Eine angepasste Zyklusbeobachtung – kombiniert mit hormoneller oder pflanzlicher Unterstützung –
kann hier enorm entlasten und zu einem besseren Körperverständnis beitragen.

 


 

Hormonelles Ungleichgewicht

 

Nicht nur im Zyklus – auch allgemein scheint das hormonelle Gleichgewicht bei vielen neurodivergenten Menschen instabiler zu sein.
Östrogen, Cortisol, Insulin – kleine Schwankungen wirken sich spürbar auf das Wohlbefinden aus.
Ich habe oft das Gefühl, dass mein System auf jede hormonelle Veränderung überreagiert.

Das kann zu Gewichtsschwankungen, Hautproblemen, Schlafstörungen oder Stimmungseinbrüchen führen.
Solche Symptome werden leider oft einzeln betrachtet – und nie im Zusammenhang mit der neurobiologischen Grundstruktur.

Dabei wäre das genau der Schlüssel: ganzheitlich hinschauen.


 

Essstörungen & interozeptive Wahrnehmung

 

Viele von uns haben Schwierigkeiten mit Hunger- und Sättigungssignalen.
Ich merke oft gar nicht, wann ich hungrig bin – oder ich esse, obwohl mein Körper längst „voll“ ist.
Diese gestörte interozeptive Wahrnehmung ist typisch bei Autismus und ADHS.

Sie kann zu Essstörungen führen – nicht aus einem Schönheitsideal heraus, sondern aus Kontrollverlust oder Reizüberforderung.
Essen wird zur Regulation – oder zum Problem.

Bei mir wurde daraus ein ständiger innerer Kampf.
Erst das Wissen um diese Zusammenhänge hat mir geholfen, wieder Zugang zu meinem Körper zu finden.


 

Schlafprobleme – mehr als nur "unruhig"

 

Einschlafen war für mich immer ein Drama.
Nicht weil ich nicht müde war, sondern weil mein Kopf nicht abschalten konnte.
Dazu kam: Selbst wenn ich schlief, war ich am nächsten Tag oft erschöpft.

Viele neurodivergente Menschen leiden unter einem gestörten Schlaf-Wach-Rhythmus, erhöhter Traumaktivität oder Einschlafstörungen.
Das liegt oft an einer gestörten Melatonin-Ausschüttung, aber auch an fehlender Reizverarbeitung am Abend.

Schlaf ist nicht einfach Ruhe – es ist Verarbeitung.
Und wenn das System sowieso auf Hochtouren läuft, wird genau das zur Herausforderung.


 

Histaminintoleranz

 

Ob Tomaten, Käse oder Schokolade – nach manchen Lebensmitteln rebellierte mein Körper.
Ich bekam Kopfschmerzen, Hautjucken, Herzrasen. Lange wurde das als „Einbildung“ abgetan.

Dabei steckt oft eine Histaminintoleranz dahinter – eng verbunden mit MCAS und neurodivergenten Profilen.
Histamin ist nicht nur ein Bestandteil von Lebensmitteln, sondern auch ein Neurotransmitter.
Wenn der Abbau gestört ist, entsteht Chaos im System.

Viele Betroffene berichten von massiven Beschwerden – die mit Diät, Probiotika und gezielter Therapie gelindert werden können.
Der erste Schritt? Ernst genommen werden.


 

Muskel- und Gelenkschmerzen

 

Ich hatte immer irgendwo Schmerzen. Mal im Rücken, mal in den Schultern, dann in den Knien.
Nie genug, um „krank“ zu sein – aber genug, um mich permanent müde und angestrengt zu fühlen.

Viele autistische Menschen berichten von chronischen Muskelschmerzen oder Verspannungen.
Das liegt oft an einer Mischung aus Hypermobilität, Daueranspannung und einer veränderten Schmerzwahrnehmung.

Die Muskulatur arbeitet ständig gegen das „Zusammenfallen“ – besonders bei instabilem Bindegewebe.
Schmerzmittel helfen oft nicht – weil der Ursprung tiefer liegt: im Nervensystem.


 

Haltungsprobleme, Beckenschiefstand, muskuläre Dysbalancen

 

Ich wurde jahrelang für meine „schlechte Haltung“ kritisiert.
Aber egal wie sehr ich versuchte, gerade zu stehen – es fühlte sich immer verkrampft an.

Mein Körper war nie symmetrisch:
Das Becken schief, die Schultern unterschiedlich hoch, die Muskulatur ungleichmäßig.

Später erfuhr ich: Das war nicht Faulheit oder fehlende Disziplin – sondern Ausdruck einer anderen Körperwahrnehmung und Muskelsteuerung.

Viele neurodivergente Menschen haben Schwierigkeiten mit der sogenannten Propriozeption – also dem Gefühl für den eigenen Körper im Raum.
Das führt zu Fehlhaltungen und Schmerzen, die selten mit Autismus in Verbindung gebracht werden.


 

Raynaud-Syndrom – neurodivergente Durchblutungsstörung?

 

Meine Finger wurden regelmäßig weiß oder bläulich, wenn es kalt wurde – schmerzhaft, taub, manchmal brennend.
Raynaud-Syndrom nennt sich das. Eine Durchblutungsstörung, die typischerweise bei Kälte oder Stress auftritt.

Interessanterweise berichten viele neurodivergente Menschen von ähnlichen Phänomenen.
Ob es eine direkte Verbindung gibt, ist noch wenig erforscht – aber die Reaktion des autonomen Nervensystems auf Reize scheint auch hier eine Rolle zu spielen.

Ich sehe es als weiteres Zeichen dafür, dass mein Körper sensibler reagiert – innen wie außen.


 

Warum das alles so oft übersehen wird

 

Ich wurde jahrelang nicht ernst genommen. "Sie sind zu empfindlich." "Das ist psychosomatisch." "Sie müssen sich mehr entspannen."
Und ich glaubte das. Ich zweifelte an mir. Dachte, ich übertreibe.

Heute weiß ich: Das System ist nicht gemacht für Menschen wie mich.
Und viele Ärztinnen und Therapeuten kennen Autismus nur als psychisches Konstrukt – nicht als etwas, das auch den Körper formt.

Die medizinische Ausbildung ist in vielen Bereichen noch immer stark symptomzentriert.
Was nicht in die bekannte Symptomatik passt, wird entweder ignoriert – oder psychologisiert.
Besonders Frauen erleben diesen Effekt oft doppelt: Ihre Beschwerden gelten schneller als psychosomatisch, ihr subjektives Erleben wird eher infrage gestellt.

Fehldiagnosen sind häufig:

  • Reizdarm statt MCAS

  • Burnout statt ADHS

  • Panikstörung statt POTS

  • Oder einfach: „Sie haben halt viel Stress.“
    Dabei ist der Stress oft die Folgenicht die Ursache.

Viele Ärzt*innen sind schlichtweg nicht geschult im Umgang mit neurodivergenten Profilen.
Sie kennen Autismus als Diagnose, die sich an bestimmten „Checklisten“ orientiert – aber nicht als breites Spektrum mit unterschiedlichsten Ausprägungen.
Komplexe Wechselwirkungen zwischen Reizverarbeitung, Hormonen, Immunsystem und Psyche werden selten mitgedacht. Noch seltener werden sie in der Anamnese überhaupt abgefragt.

Besonders gefährlich wird das, wenn neurodivergente Menschen sich selbst schon nicht mehr vertrauen – weil sie zu oft gespiegelt bekommen haben, dass sie „übertreiben“.
Wenn dann eine Ärztin sagt: „Das bilde ich mir ein“ – wird es zur Wahrheit.
Die medizinische Validierung fehlt.

Hinzu kommt: Viele Ärzt*innen sind in Zeitnot.
Und neurodivergente Menschen brauchen oft mehr Zeit – nicht nur zur Beschreibung der Symptome, sondern auch, um Vertrauen zu fassen, Zusammenhänge erklären zu können und sich sicher zu fühlen.
Diese Zeit fehlt im heutigen System.

Das Ergebnis: Menschen wie ich erhalten zu spät oder gar keine Diagnosen für reale körperliche Probleme – oder leben jahrelang mit Symptomen, die sie sich selbst nicht erklären können.
Dabei wäre der Schlüssel oft eine ganzheitliche Sicht auf den Menschen – und ein offener Blick für das, was anders funktioniert.

Es braucht mehr Wissen, mehr Bereitschaft zum Zuhören – und mehr Ärzte, die auch sagen:
"Ich weiß es nicht, aber ich nehme Sie ernst."


 

Fazit: Autismus ist mehr als eine Diagnose – er ist eine Körperrealität

 

Ich schreibe diesen Artikel nicht, um zu jammern.
Ich schreibe ihn, weil ich möchte, dass andere sich wiedererkennen.
Dass sie wissen: Du bist nicht zu empfindlich. Dein Körper ist nicht dein Feind.
Du bist vielleicht einfach nur autistisch. Und dein Nervensystem tut sein Bestes, um dich durchs Leben zu bringen.

Komorbiditäten sind kein "Bonusproblem".
Sie sind Teil des Profils. Und je mehr wir darüber wissen, desto besser können wir mit uns umgehen.
Uns versorgen. Uns ernst nehmen.
Ich wünschte, ich hätte das eher gewusst!

Denn Autismus ist nicht nur im Kopf.
Er ist im Herzschlag. Im Hautjucken. Im Lichtblitz. In der Bewegung. In der Reaktion.
Und in der Erschöpfung danach.
Und ja, manchmal weiß dein Körper mehr über dein Gehirn als dein Psychologe.
Also nimm ihn ernst – wenn kein anderer es tut!


 

Teile deine Gedanken in den Kommentaren oder schick mir eine Nachricht, wenn du dich wiedererkennst. Ich sammle gerade Erfahrungsberichte für ein Folgeprojekt!

Herzlich,
FliWi


 

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